Momentaufnahme, Mitte

Glücklich drücke ich das neue Buch an mich, mit dieser Mischung aus Besitzerstolz und Fürsorgeinstinkt, mit der man als Kind ein neues Plüschtier mit sich herumtrug, selig die Nase im weichen Stoff vergrub und es samt spontan erdachter Biografie jedem vorstellte, der sich nicht schnell genug aus dem Weg rettete.
Das freilich mache ich mit meinen Büchern nicht; dennoch bin ich froh, in einer Familie aufgewachsen zu sein, in der Bücher und Zeitungen zu den Grundnahrungsmitteln zählen.
Beim Betteln um Spielzeug und Süßigkeiten biss man meistens auf Granit, aber Bücher? Die gingen immer. Und man kann nicht behaupten, dass ich mit mir selbst heute anders umginge.
Man mag bis zum Monatsende noch 11 Euro besitzen und sich daher jeden nicht zwingend lebensnotwendigen Konsum verkneifen, aber Bücher? Die gehen immer.
Leider geniere ich mich furchtbar beim Feilschen, weshalb ich das Buch für 3 Euro auf dem Flohmarkt am Bodemuseum erstand, obwohl ich weiß, dass mich der Verkäufer dafür verachtet, weil er jedem anderen das Buch für 1,50 verkauft hätte, aber ich kann sowas nunmal nicht, nach einem niedrigeren Preis fragen, und ich wollte es doch so gerne haben.

Dafür kann ich mir dann ja die 5 Euro für das übliche Pint im benachbarten Irish Pub verkneifen, denke ich, dann hätte ich quasi noch 2 Euro Gewinn gemacht. Ich grinse angesichts meiner absurden Rechenoperationen, welche mir zu Recht eine Dauerfünf in Mathematik sowie das wohl schlechteste VWL-Vordiplom in der Geschichte der Universität eingebracht haben, und bewege mich selbstverständlich Richtung Pub. Denn wo kann man sich mehr dem romantischen Ideal des verarmten Dichters nähern als vor der Tür des Oscar Wilde’s, mit einem Pint Cider am hellichten Tage, Füllfederhalter und Notizbuch? — Eben.

Schwatzende Touristen ziehen an mir vorbei, ab und zu quetscht sich jemand hinter mir durch die Bank und späht in das Fenster des Pubs.
Drinnen läuft irgendein Sport mit Bällen, aber ich bleibe draußen und sehe mir lieber die hübschen, vorbeiradelnden Mitte-Boys an.
Dazu lege ich das neue Buch auf den Tisch: Man weiß ja nie.

Aber aus der Boybeobachtung wird nichts. Kaum halte ich das Buch, Jack Londons „Seewolf“, in den Händen, habe ich mich auch schon festgelesen und versinke so schnell in der Geschichte wie der Held mit seinem Kutter.
Obwohl das Buch mit eben diesem Schiffsuntergang in der Bucht von San Francisco beginnt, träume ich mich an die Irische See und stelle mir vor, dass ich es dort in einem echten Irish Pub läse; einem Irish Irish Pub quasi. Das irische Palaver am Nachbartisch hilft dabei, ebenso wie die dezente Musikbeschallung mit keltischem Gefiedel.
Ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit macht sich breit, denn was braucht der Mann mehr als ein Pint, einen vollen Bauch und ein gutes Buch? Das Leben ist schön, und ich mittendrin.
In der Nörgelecke meines Unterbewusstseins regt sich Unmut: So findest du nie einen Mann, schallt es, wenn du jedes Meer und jedes Buch jeder Möglichkeit einer Flirtaktivität vorziehst! Leg das Ding weg und guck nach den Männern!
Halts Maul, sage ich: Ich war hier schließlich mit Männern.

Ich erinnere Augen, grün wie die Irische See, und Gespräche, aus denen man locker hätte Romane stricken können! Man kann also doch alles auf einmal haben, wenn man will, und mit dem Richtigen natürlich, den man aber sowieso nicht suchen kann, sondern der eines Tages einfach da ist und sein Pint neben meines stellt.

Die Iren am Nebentisch stimmen „Son of a Preacherman“ an, und angesichts ihres Guiness-Füllstandes singen sie gar nicht mal so schlecht. Ich überlege, ob ich den Text auch noch zusammenbekomme und finde es einmal mehr grandios, was Männer so machen, wenn sie unter sich sind und sich nicht gerade hauen.

Alles in allem ist es ein wunderbarer Sonntag, und es ist schön, sich bei dem Gefühl zu erwischen, das einem eigentlich nichts fehlt. Nicht einmal die 8 Euro, die ich an diesem Tag wieder einmal nicht hatte ausgeben wollen: Der Gegenwert ist unbezahlbar.

Und was den Rest des Monats betrifft, so wird es schon weitergehen, irgendwie:
Irgendwo ist doch immer Land in Sicht.

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