Momentaufnahme, zwischen Orten

Es sind Kaffeeflecken auf dem Holz. Ich wollte das längst neu streichen. Lohnt sich das noch? Ich kratze mit dem Fingernagel daran herum, es wird nur noch dreckiger. Die grüne To-do-Liste bietet sich an: Ich zerre das Papier mit den zur Hälfte abgehakten Kästchen unter der Tastatur hervor und lege es auf den Fleck.

Es ist alles so vertraut. Wie viele Geschichten wurden an diesem Tisch geschrieben, wie viele E-Mails, und bei wie vielen habe ich gelacht, bei wie vielen geweint?
Jemand macht eine Anspielung zu einem Buch, und ich kann aufstehen und blind ins Regal greifen: Da habe ich es. Es ist mein Zuhause, sollte man meinen. Aber ich darf mich nicht auf die letzten Meter noch dran gewöhnen, denn bald muss ich weg.

Meine Sittiche schaukeln im Halbschlaf auf ihrer Stange und ahnen nicht, dass sie bald zu irgendjemanden in Pflege kommen, oder vielleicht für immer. Ich habe die kleinen Viecher lieb, aber mich tröstet, dass sie mich nicht lieben: Sie brauchen einfach nur jemanden, der ihnen Futter und Wasser hinhängt und sie nicht quält. Sie werden es verkraften, und so hat auch unerwiderte Liebe zuweilen etwas Gutes.
Und du? Ob ich dich hier nicht habe oder irgendwo anders nicht, ist auch egal: Sollte man meinen. Wie schön wäre ein neues Leben auf meiner Insel! Ich war so glücklich dort. Das Meer in allen Farben deiner Augen und die Zukunft noch so offen wie die Unendlichkeit des blauen Horizonts, gelotst von einem schwachen Schimmer Hoffnung, dass du mich vielleicht lieben könntest, irgendwann. Es ist zu lange her.

Ich möchte zurück. Aber ich frage mich auch: Will ich wirklich an diesen Ort zurück oder nur zurück zu diesem Gefühl?
Es ist einerlei, ich muss gehen. Und eigentlich müsste ich routiniert sein in solchen Dingen, denn wie oft bin ich umgezogen: Neue Stadt, neue Arbeit, neue Menschen, neue Parks, U-Bahn-Pläne und Cafés. Flexibel muss man sein. Vernünftig. Erwachsen. Sentimentalitäten zahlen einem nicht die Miete.
Aber es ist schwer: Man trauert um das, was hätte sein können, und um das, was man nicht einmal verloren hat, weil man es nie fand. Und es ist schwer, weil ich wieder dieses Wort nicht höre werde, dieses eine Wort: Bleib.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Dann stehe ich am Hafen, die glitzernden Lichter der Stadt hinter mir, von drinnen die Wärme, das geliebte Lachen, und das Brummen der Autos wird zum Brummen der Schiffsmotoren, die mich wegbringen, zu einem neuen Hafen und neuen Lichtern, auch wenn diese erst ein schwaches Glimmen am Horizont sind. Ich kenne den Ort noch nicht, aber ich spüre die neue Hoffnung auf Heimat, egal wie oft diese schon enttäuscht wurde. Es muss gutgehen. Mein Gepäck ist nicht schwer, aber das, was ich mitnehme, ist wertvoll.
Ich sehe dein hübsches Profil vor mir, als stünde ich gleich draußen vorm Fenster.
Sieh nicht her, denke ich: Ich will mich nicht umdrehen, wenn ich gehe.

Das Schlagen der Uhr reißt mich aus meinen Abschiedszenarien, es ist spät.
Neben der To-do-Liste liegt eine Bewerbung nach Norden:
Die muss ich noch abschicken.

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