Der kleine Foxterrier sitzt neben der Leitplanke und genießt die Sonne. Herrchen oder Frauchen kommt ja bald wieder, denkt er, bestimmt besorgen sie nur kurz was und bringen mir was Leckeres mit. Und dann kraulen sie mir übers Fell und wir fahren nach Hause. Da ist es warm, und ich kann herumtollen, spielen und schlafen, weil ich weiß, dass mir morgen wieder jemand Futter und Wasser hinstellt und mich liebhat. Das haben sie gesagt. Und ich vertraue ihnen.
Aber langsam wird es heiß und ich habe Durst. Für kleine Terrier muss ich auch. Das Halsband nervt. Warum ist auch die Leine so kurz? Ich würde doch nicht weglaufen. Das wissen sie doch. Es heißt ja nicht umsonst „hündisch loyal“. Siehste.
Aber niemand kommt. Außer der Nacht, dem Regen, der Kälte, noch einer Nacht und noch einer. Irgendwann hat jemand den Tierschutz gerufen. Dann sind da plötzlich Menschen in komischen Anzügen; mit Netzen und Handschuhen. Der Terrier schnappt. Angst hat er, fast wahnsinnig vor Hunger und Durst. Was für ein bösartiges Vieh, denken die Leute, am Besten gleich einschläfern.
Und dann kommt er ins Heim und hat Angst vor dem nächsten Menschen, der sagt: Hab keine Angst. Ich kümmere mich um dich. Bei mir hast du’s schön. Du hübsches, kluges, liebes Kerlchen.
Im Heim ist es laut und stinkt. Und es ist voll mit anderen Hunden, die irgendjemand einmal begeistert an sich gedrückt hatte; nicht selten im Glanze von Adventskerzen. Denen man über das schöne Fell strich mit süßen Worten; die man zu lieben versprach bis sie Bedürfnisse hatten, die nicht in die Agenda passten, nicht zur Handtasche, bis einer auf die Haute Couture schiss oder alt wurde oder krank oder hässlich.
„Das nutzlose Vieh oder ich!“ gellte die Frau. „Nur noch ein Stör- und Kostenfaktor“ hallte es aus der zugeknallten Tür. Der Hund roch das Böse in der Luft, er wurde ganz still. Vielleicht biss er auch ein letztes Mal, bellte verzweifelt, damit man ihn ansah, in sein Herz sah.
Aber niemand sah hin. Niemand hörte zu.
Dann versprach man einen letzten Ausflug. Alles wird gut. Komm. Nur wir beide. Bei mir ist es schön.
Ich warte auf dich. Ich bleibe.
Nichts von alledem. Und jetzt ist er in diesem Heim und hat Angst vor der Liebe und dem Zauber, der dem Anfang innewohnt.
Wir wollen Sie unbedingt. Sie sind eine Belastung. Wir schaffen das. Tschüss. Du inspirierst mich. Du laberst nur Scheiße. Komm mit. Hau ab. Wir trauen Ihnen das zu. Sie sind eine Enttäuschung. Ich kann mir das gut vorstellen mit uns. Ich bin nicht bisexuell. Du bist hochintelligent. Du kannst gar nichts. Ich will dich unbedingt kennenlernen. Ich habe kein Interesse an dir. Wir stellen Sie ein. Wir legen Ihnen keine Steine in den Weg, wenn Sie gehen. Ich fahre 3 Stunden, um 10 Minuten bei dir zu sein. Ich will dich nie wieder sehen. Ich freue mich jeden Tag auf deine Mails. Sie können dem Nutzer keine Nachrichten mehr senden.
Und dann sitzt man auf dem gepackten Koffer, als Enttäuschung, mal wieder. Und das Leben erscheint einem wie ein gottverdammtes Universum aus Labyrinthen, wo die Tür des einen nur ins nächste führt und der Himmel nichts als ein blaues Stück Pappe ist — irgendwo hingehängt von einem sadistischen Gott oder einem mit falsch verstandenem Mitleid. Aber die Illusion, heißt es dann. Die Illusion. Laut Hilde Knef das Schönste auf der Welt. Wieviele Luftspiegelungen von Oasen haben denn schon Verdurstenden letzte Kraft für den Weg durch die Wüste verliehen, wieviele schöne Worte und noch schönere Augen haben Dichter beflügelt, denen das leere Blatt Papier Verstand und Existenz zu rauben drohte?
Und dann ist er wieder da, zuckt noch unter den nackten Füßen, und man weiß nicht mehr, ob er im Sterben liegt oder gerade wieder zum Leben erwacht: Der süße Vogel Hoffnung.
Und man wischt sie sich aus dem Gesicht, die eklige Spinne der Larmoyanz, wickelt den Koffer aus ihren Fäden und rettet den Vogel. Schwach ist er, aber sein Gefieder glänzt noch so schön, und man küsst es und sagt: Es tut mir Leid. Wir kriegen das hin. Komm mit. Bei mir ist es schön.