Momentaufnahme, Brandung

Die Flut kommt heute schneller als sonst. Als ich zurückwate, ist der Priel bereits knietief, und nichts hätte darauf schließen lassen. Die tintenblaue See brandet unter einem makellosen Spätsommerhimmel in geradezu poetischer Sanftheit an die Sandbank. Was für eine unberechenbare Schönheit, denke ich: Eine gefährliche Geliebte.

„Deswegen bist du also hier“ fragt die Freundin und ich nicke berührt. Sie muss es gesehen haben, die Ergriffenheit in meinen Augen. Und all die Liebe. Wir stehen am Strandaufgang und betrachten das Wasser.
„Ja, sage ich. Das ist alles, was ich liebe. Das hier ist Glück.“
Sie schweigt, und erst einige hundert Meter später traue mich mich zu fragen, ob sie es nicht mehr liebt, hier. Doch, sagt sie. Wie könnte man das nicht lieben.

Und dann ist da plötzlich wieder jemand, der dir vertraut und seine Spuren neben deine setzt. Ich erzähle ihr von dir und von der Liebe zur Insel, die größer ist, trotz deiner Allgegenwärtigkeit. Er hat so viele Augenfarben, sage ich, und zeige ihr alle Stellen am Himmel und im Meer, die mich daran erinnern. Sie hat auch einen dich, und so erzählen wir von Liebe und Freundschaft bis weit ins Pirolatal. Auch ihre Augen sind grünblau wie die See und ihr Haar glänzt in diesem strahlenden Weizenblond, wie es nur gebürtige Friesinnen haben.
Ich würde mich nicht schämen, wenn uns jemand der anderen Strandspaziergängerinnen für ein Paar hielte.

Der Zauber des Anfangs. Es ist ein schönes Gefühl zu spüren, dass ein Mensch ein Freund sein möchte. Dass sie Dinge erzählt, die ich missbrauchen könnte, wenn ich ein Arschloch wäre, aber ich bin ja keins; zumindest bemühe ich mich darum.
Dennoch werde ich traurig, je mehr ich sie ins Herz schließe. Denn wie oft hat man auch Freundschaften über irgendwelchem Trivialscheiß enden sehen? Natürlich tut es nicht auf die selbe Weise weh, einen Freund oder eine Freundin zu verlieren, wie von jemandem verstoßen zu werden, den man geliebt hat, aber egal ist mir sowas nicht. Kurz erinnere ich ein, zwei Freunde, bei denen ich es immer noch schade finde, aber dann gab es ja auch genug Personen, die ich nicht mehr in meinem Leben wollte, und so macht man halt weiter: everybody hurts sometimes.

Trotzdem ist sie wieder da, die Angst vor dem Ende noch vor dem Anfang.
Zulassen, sage ich: Der Augenblick zählt. Aber es fällt schwer, immer wieder.
Fast haben wir das Ende der Insel erreicht. Schau, denke ich, es gibt einen Menschen, der mit dir ans Ende der Welt läuft. Der das angebetete Foto desjenigen welchen mit einem unbeeindruckten „ich finde, der sieht eingebildet aus“ zurückgibt und ihn allein dafür hasst, dass er dir wehtut.
Freunde sind toll. Und ich wünschte, ich wäre vom Leben nicht so versaut.

Sie geht den ganzen Weg mit mir zurück.

Am nächsten Tag stehe ich alleine am Meer. Auf dem ipod höre ich deine schöne, warme Stimme, während die Brandung meine Füße umspielt und der Priel glitzert wie das Perlmutt in den herumliegenden Muschelschalen. Du singst ein Lied von einem Juwelier, der nachts Münzen poliert. Auch das ist wahnsinnig poetisch:

The coins are often very old by the time they reach the jeweller
With his hands and ashes he will try the best he can
He knows that he can only shine them, cannot repair the scratches
He knows that even new coins have scars
So he just smiles

Und ich lächele, auch wenn mich deine Stimme traurig machen sollte. Sie tut es nicht. Denn eines habe ich aus allen zerbrochenen Freundschaften und Beziehungen gelernt: Es gibt immer irgendetwas Schönes, das bleibt.
Und sei es nur die Erinnerung an das Glück des Anfangs.

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