Aus einem dänischen Laden in Flensburg habe ich dieses Messer. Es ist klein und höllenscharf und hat einen natürlichen, schönen, Holzgriff. Ich wollte schon immer so ein Messer, denn damit kann man selbst Kirschtomaten in winzige, glatte Scheibchen schneiden und Paprika in Würfel von wenigen Millimetern Kantenlänge. In Knoblauchöl gedünstet, auf hochwertiger Pasta und mit viel frischem Basilikum von der frischgezimmerten Holzfensterbank versehen, ergibt das ein schlichtes, aber hervorragendes Mahl, das ich mit einem erstklassigen Rosé genieße. Ich kann mir das leisten, denke ich, ich habe ja Möbel gebaut, gestern und heute, und getanzt außerdem, zu deinem neuen, wunderschönen Lied, mit geschlossenen Vorhängen, damit es niemand sieht. Und nun throne ich auf dem neuen Bett, satt, glücklich und zufrieden.
Glück ist so einfach manchmal, denke ich, das Werk betrachtend.
Ich denke an dich und leide nicht einmal, weil ich all das hier nicht hätte, wenn du mich noch liebtest. Ich stelle mir vor, deinen kleinen, weichen Körper in den Armen zu halten, in dem schönen neuen Bett, und den Wein mit dir zu teilen, aber es will einfach nicht mehr wehtun, egal, wie schön es sich noch anfühlt.
Ich bin glücklich, denke ich. Und heute fühle ich es sogar.
Wäre da nicht dieser Zweifel. Dieser intellektuell-rational gesteuerte Zweifel, den ich so gern als meinen inneren Sadisten betitele. Der mir sagt, dass ich nicht glücklich sein darf. Weil andere Männer mit 39 Jahren Häuser haben. Und Autos und Familien und Karrieren.
Und nicht auf 16 Quadratmetern leben und kellnern trotz eines Einserdiploms. Aber ich fühle mich einfach nicht schlecht deswegen. Ich bin doch frei!
Natürlich kann man auch mit Haus, Karriere und Familie frei sein, glücklich sowieso, aber warum fühlt es sich so verboten an, es auch ohne all das zu sein?
Ich lehne mich in meine schöne, weiche, blauweiße Bettwäsche zurück, auf deren Besitz ich stolz bin, obwohl sie nicht teuer war, und wundere mich.
Das zieht also nicht, denkt sich der innere Sadist, und dann wird er richtig gemein. Schau, sagt er: Da ist dieser alte Nazi, der jetzt vor Gericht muss wegen 300.000 toter Unschuldiger in Ausschwitz. Da ist dieser Lebensmüde, der 149 Unschuldige mit dem ihm anvertrauten Flugzeug und dem ihm anvertrauten Leben darin in ein Felsmassiv steuert. Da sind diese 1000 Flüchtlinge, die jämmerlich ertrinken, weil die EU für jeden Scheiß Geld hat, aber für die Überwachung der Meere nicht. Wie kannst du also, schreit er mich an, wie kannst du da glücklich sein?
Wie kannst du glücklich sein, wenn die Welt so ist?
Und ich, ich lasse den Kopf sinken und schäme mich.
Ja, sage ich, ich sollte nicht hier sitzen, mit vollem Bauch und keinen Problemen und dabei die der anderen vergessen. Aber: Schöpft man nicht die Kraft, anderen zu helfen, Mitgefühl zu empfinden und sich gegen Unrecht zu wehren, aus eben diesem eigenen kleinen, heilen Mikrokosmos, so oberflächlich er auch anmuten mag? Ist es nicht so, dass eigenes Unglück oder gar eine ausgewachsene Depression den Menschen eher lähmt, ihm also zwangsläufig kaum noch Kraft für das Elend anderer lässt?
Ich finde keine Antwort.
Eine Freundin klingelt und ich teile den Rest des Weins mit ihr. Sie stammt aus Polen und wir reden über die Nazis. Es ist wichtig, dass diese Menschen Namen bekommen, sagt sie, und ich finde das auch. Vor 70 Jahren wären wir Feinde gewesen, denke ich. Oder vielleicht hätte ich sie geliebt, aber das nicht gedurft. Vielleicht hätte ich jemanden aus ihrer Familie ermordet oder ihre Familie jemanden aus meiner. Vielleicht wären wir aber auch Freunde gewesen, so wie jetzt, heimlich, und sie hätte mir Bücher und Essen zugesteckt oder umgekehrt.
Und dann hätten wir da gesessen und wären glücklich gewesen trotz all des Elends um uns herum: Glücklich für einen Moment.
Eigentlich sollte einem niemand vorschreiben dürfen, wann man glücklich zu sein hat, denke ich weiter. Das ist doch so wie die Liebe: Es passiert einfach.
Und Liebe lässt sich ja auch nicht verbieten.