Mit Himmelsphänomenen habe ich kein Glück. All die akribische Planung, die vorbereitete Kaffeemaschine, die frisch aufgeladenen Kameraakkus, die bereitgelegten Wollsachen — Für die Katz.
Es ist die Nacht des Blutmondes. Des Superblutmondes, um genau zu sein: Ein Erdtrabant, der aufgrund besonderer Konstellationen am Himmel nicht nur wesentlich größer erscheinen soll (Supermond), sondern im Rahmen einer totalen Mondfinsternis auch noch blutrot.
Keine Frage, dass ich mir das nicht entgehen lassen kann; schließlich bin ich dieses Jahr bereits der Sonnenfinsternis hinterhergereist, und nach wie vor bin ich froh darüber, dass ich sie wenigstens in einer interessanten Stadt so gut wie nicht gesehen habe.
Denn auch in Flensburg, ebenso wie heute Nacht auf Langeoog, hatten die Wolken etwas dagegen.
Als ich um 4:08 das Haus verlasse, ist es stockfinster. Zunächst denke ich mir nichts dabei, beziehungsweise ich denke: Ist klar. Heißt ja auch Finsternis, und die Totale beginnt erst in 3 Minuten. Dann allerdings soll die Erde nur das blaulastige Licht der Sonne abschirmen; das langwelligere rote Licht biegt sich indes um unseren Planeten und beleuchtet den Mond rot.
Eigentlich.
Wüsste ich, dass es Füchse und Wölfe auf Langeoog gäbe, so würde ich das, was ich jetzt mache, nicht machen — nämlich in absoluter Dunkelheit auf die Aussichtsdüne wandern, das Licht der Taschenlampe nur ein kleiner, nutzloser Fleck auf dem mit Klinkersteinen gepflasterten Weg. Ein bisschen unheimlich ist das ja schon, und ich erinnere das nächtliche Schreien der Füchse in meinem Berliner Garten — ein Geräusch, das tatsächlich so klingt, als würde jemand ermordet. Hier und jetzt so ein Geräusch, irgendwo hinter den sich tiefschwarz um mich türmenden Dünen, und ich wäre am Ende.
Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit, und ich suche den Mond. Das rote Flackern am Horizont im Süden sind die Windräder auf dem Festland; es sieht aus wie eine hässliche Stadt aus Wolkenkratzern.
Zur Seeseite hin wirft ein Leuchtfeuer seine Lichtkreise aufs Wasser. Zumindest hoffe ich, dass es eines ist, und nicht etwa der Suchscheinwerfer eines Schiffes, und es ist peinlich genug, dass ich Landratte nicht einmal so etwas sicher unterscheiden kann.
Tatsächlich ist auf der See sehr viel los: Da wo eigentlich nichts als das offene Meer ist, leuchtet und blinkt es an fast so vielen Stellen wie auf dem Festland: Auf dem Großschifffahrtsweg Richtung Elbe herrscht zu jeder Zeit reger Verkehr.
Ich sehe wieder zum Mond bzw. in die Richtung, in der ich ihn vermute. Und tatsächlich: Der Wolkenrand leuchtet jetzt. Blutrot.
Es sieht aus wie die Vorboten eines herkömmlichen Sonnenaufgangs, bis auf dass die Himmelrichtung nicht passt und es zwei Stunden zu früh dafür ist.
Wenigstens weiß ich jetzt, dass das Datum stimmt.
Im Nordosten lassen sich einige Sterne blicken: Die Wolkendecke reißt auf. Nur vor dem Mond im Südwesten pappen sie beharrlich zusammen.
Ich setze mich am Tjard-sin-Utkiek auf die Bank und hantiere mit der Thermoskanne. Aus dem Gebüsch tönt verärgertes Tschilpen eines zu früh erwachten Vogels.
Der Wolkenrand leuchtet rot. Sieht bestimmt toll dahinter aus, denke ich.
Hinter mir Meeresrauschen.
Irgendjemand erzählte, man könne das Leuchtfeuer von Helgoland sehen von Langeoog aus. Ich drehe mich noch einmal um zur Seeseite und spähe hinaus. Noch ein geplatzter Traum.
Hallo, Helgoland, denke ich traurig und erinnere das regennasse A4-Blatt an einem grauen Sturmmorgen im Norddeicher Hafen: „Die Fahrt nach Helgoland entfällt aufgrund der Wetterbedingungen“.
„Nächstes Jahr“, tröstet mich Lieblingsfischbudenverkäufer Steffen, „fahr nächstes Jahr ab Cuxhafen, dann gibt es auch ein tolles neues Schiff.“ Cassen Eilts baut ein neues, ein großes Schiff mit Stabilisatoren, um das Rollen und Schlingern abzufedern — Ergo auch weniger Kotzgäste.
Der Helgolandtraum rückt wieder näher.
Inzwischen hat das Mondlicht hinter den Wolken wieder sein normales Blassgelb erreicht und ich mache mich auf den Heimweg.
Den nächsten Superblutmond gibt es 2033. Dann bin ich siebenundfünfzig.
Aber was ist schon Zeit, hier, an der See.
Foto: (c) Sternwarte Waldburg
Ich weiß nicht, wie viele Punkte auf der Gemeinheitsskala das jetzt gibt, wenn ich schreibe, dass ich den Mond die ganze Nacht lang bei kaum einem Wölkchen vom Bett (!) aus durch mein Schlafzimmerfenster sehen konnte. Musste nur wach werden und die Brille aufsetzen.
Aber ganz ehrlich: So spektakulär fand ich’s nicht. Ich bin mir sicher, dass der Superblutmond, der sich vor dir auf deiner Düne hinter den Wolken versteckt hat, wesentlich aufregender war als die kleine schmutzigrote Kugel, die vor meinem Fenster hing.
Was jetzt die philosophische Frage nach der größeren Befriedigung durch liebevoll gepflegte als durch gestillte Sehnsüchte aufwerfen mag – aber dafür bin ich heute zu unausgeschlafen … 😉
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Hahaha, nein, das ist ein sehr charmanter Tröstungsversuch, lieber gefiederter Kollege 🙂
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Auch wenn der Blutmond sich nicht gezeigt hat bei Deinem Morgenspaziergang – danke für die wundervolle Schilderung.
Grüße vom Rhein, Margot
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Danke, liebe Margot!
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