Momentaufnahme, Spaceboy

Es ist der Tag, an dem David Bowie starb. Wieder ist ein bisschen Farbe aus der Kulturszene gewichen, denke ich, als ich mein iTunes Archiv nach Bowie-Songs und das Archiv meiner Erinnerungen nach damit assoziierten Geschichten durchkrame.

Ich konnte mich nicht mit allen seiner Musikstücke anfreunden; ich war auch kein erklärter Bowie-Fan und hatte keine Bowie-Poster an der Wand hängen. Aber dennoch war dieser Mensch auf eine bestimmte Weise für mich prägend.
War er es nicht, der auf alle Genderstereotype pfiff, als in Deutschland noch nicht einmal das Wort dafür existierte? Der offen bisexuell lebte, zu einer Zeit, als das noch ein ausgewachsener Skandal war? Der seinen  Modestil so oft und dabei trotzdem jedes Mal so authentisch wechselte, dass sich wohl jeder und jede irgendwann einmal mit ein bisschen Bowie identifizieren konnte? War es nicht er, der Androgynität nicht nur salonfähig, sondern sogar begehrenswert machte ― und zwar für Männer und Frauen?
Und lebte er nicht auch drei Jahre lang in Berlin, mit der zauberhaften Romy Haag als Muse, der ich wiederum an einem Winterabend vor dem Theater des Westens ganz zögernd die Hand gab, ehrfurchtsvoll denkend: Große Göttin, diese Frau hing mit David Bowie ab und steht jetzt mit mir auf einer Treppe?
Ich konnte das nur bewundern.

Dann stand ich da, androgyn in meinem Smoking, und dachte, dass es genau das war, was ich wollte: Diese grenzenlose Freiheit.
Die Freiheit zu sein, derjenige zu sein, der ich bin. Wo ich wollte und wie ich wollte. Die Freiheit, den Menschen zu lieben, den ich wollte. Wo ich wollte und wie ich wollte. Die Freiheit, meinen eigenen Idealen zu folgen, meiner eigenen Idee von Schönheit.
Ich wollte frei sein. An kein Geschlecht gebunden, keine Konvention, ja nicht einmal an eine sexuelle Orientierung, und irgendwann fand ich heraus, dass der Schlüssel zu dieser Freiheit nur in mir selbst lag. Niemand hatte dieses Normengefängnis um mich errichtet. Also konnte mich auch niemand anderer herausholen: Das konnte ich nur selbst. Und das tat ich.

Ach, Berlin. Was folgte, war eine Überdosis Leben. Aber irgendwann stellte ich fest, dass die Abwesenheit von Grenzen auch in das Gegenteil von Freiheit umschlagen kann: Der Grat zur Verlorenheit ist schmal. Gibt einem denn nicht erst das Überschreiten von selbst gesetzten Grenzen ein Gefühl von Freiheit? ist der Raum innerhalb selbst gesetzter Grenzen nicht auch Schutzraum, ein Rückzugsort? Was aber, wenn es erst gar keine Grenzen mehr gibt? Dann gibt es auch nichts mehr, was sich noch zu entdecken lohnt. Mein Leben wurde uferlos, ein regenbogenbuntes Bild, aus dem langsam die Farbe blutete. Und mittendrin saß ein kleiner Junge und streckte die Arme nach mir aus.
Ich musste ihn heimbringen. Und das tat ich.

Ich wollte ein Stein sein, der im Wasser Kreise treibt, aber nicht die Kreise selbst, welche zunehmend schwächelten und schließlich verschwanden, ohne ihre Mitte wiedergefunden zu haben.
Ich brauchte wieder einen Hafen. Ich brauchte mich selbst.
Und so bestellte ich mein Land und baute mir eine Burg. In der Sicherheit dieser neuen Mauern konnte ich dann nach ein paar Jahren wieder ins Land spähen ― und nach den Schiffen am Horizont.

Dann kamst du.
Du sahst mich so, wie ich war. Mein Hafen war deiner. Und ich? Traute mich durch dich wieder hinaus in die Welt, wenn auch nach wie vor zögernd. „I absolutely love you, but we’re absolute beginners“ sänge Bowie dazu.
Der Spaceboy war gelandet. In den Himmel sah ich jetzt nur noch mit dir und durch dich, deine schöne Stimme samtig wie der nachtblaue Vorhang, auf dem die Sterne glänzten. I absolutely loved you.

Ähnliches gilt auch für meine Insel. „Das ist doch nur ein Exil, eine Flucht“ höre ich oft, aber für mich ist die Insel Freiheit. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Begrenzungen.
Das Umringtsein von Wasser gibt mir Sicherheit. Von hier aus kann ich nach Schiffen Ausschau halten. Und ist nicht auch eine Insel so etwas wie ein großer Stein im Wasser? Der Kreise zieht, aber dennoch seine Mitte nicht verliert? Sich verändert, aber (im Idealfalle) nicht verschwindet? Auch Langeoog ist meine Burg.

Während ich dergestalt über mein Leben philosophiere, wird es Nacht auf der Insel, und ich wandere entlang der Dünenpromenade. Blaues Licht senkt sich auf den Strand. Die Lichter der Schiffe am Horizont gehen auf wie die Sterne am Firmament. Überall blinkt und leuchtet es plötzlich. Es ist so wunderschön.

Ich halte inne und denke an meine Fixsterne in Berlin. Jene Menschen, die in der schwierigen Zeit auf ebenso unaufdringliche wie beständige Weise für mich da waren, obwohl ich oftmals weder für mich noch für andere eine Freude war. Die halfen. Mit mir im Krankenhaus hockten, in Wartezimmern und Behörden. Einige leuchten noch immer dort, wo ich sie immer sehen kann. Andere sind aus meiner Galaxie verschwunden, aber ich erinnere ihren Glanz.

Hallo Spaceboy,
you’re sleepy now
Your silhouette is so stationary
You’re released but your custody calls
And I want to be free
Don’t you want to be free
Do you like girls or boys
It’s confusing these days
But Moondust will cover you
Cover you

This chaos is killing me
So bye bye love
Yeah bye bye love
Bye bye love
Yeah bye bye love
This chaos is killing me
And the chaos is calling me
Yeah bye bye love

Hallo Spaceboy, (c) 1995, D. Bowie/ B. Eno

 

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2 Kommentare

  1. frontalière sagt:

    Ohh…welch schöner Text! Sehr gut hat mir gefallen, was Du über die Freiheit schreibst und darüber, dass wir uns es letztlich selbst gestatten müssen frei zu sein….und doch ist es schwer, in Berlin, auf Langeroog und anderswo….

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    1. Wenn auch mit mehrmonatiger Verspätung: Herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar und Grüße von der Insel 🙂

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