Es ist der 14. Februar 2016, Valentinstag. Die Insel hüllt sich bereits in lackschwarze Dunkelheit; von meiner Schreibtischlampe beleuchtet, glitzern Regentropfen an meiner Fensterscheibe wie kleine Diamanten.
Neben mir steht eine Flasche Irish Cider, noch ein Mitbringsel aus Berlin, wir haben hier ja weder Pub noch Cider.
Aha, denkt sich womöglich die geneigte Leserin, jetzt ist der also am Frustsaufen, und ahnt, was kommen möge: Kein Seemannssohn nirgends.
Folgt jetzt die alljährliche Litanei der Übriggebliebenen, larmoyantes Suhlen im Liebesleid, das lyrisch-therapeutische Wundenlecken?
Sie möge getrost weiterlesen: Dem ist nicht so.
Denn tatsächlich bin ich dieses Jahr nicht im Geringsten frustriert, obwohl die Welt des Kommerzes natürlich seit Tagen mit nichts als dem Feiertag der Liebe nervt.
Mit Dingen in herzförmigen Schachteln und Geschenkideen, die so grauenvoll sind, dass sie zumindest für mich eher handfeste Scheidungsgründe liefern würden anstelle von Romantik.
Böse Zungen behaupten, dass dieser Tag überhaupt eine Erfindung der Werbeindustrie sei, aber tatsächlich gab es da wohl diesen heiligen Valentin von Terni, der einst am 14. Februar 269 n. Chr. in gänzlich unromatischer Hinsicht den Kopf verlor. Sein Vergehen: Entgegen kaiserlicher Anordnung Christen zu trauen. Dieses lebensgefährliche Engagement machte ihn letztlich zum Schutzpatron der Liebenden und zum Namensgeber des heutigen Tages. Was aus dem Tage wurde, also die fluoreszierenden Schwäne mit herzförmig zueinander geneigten Hälsen und kreischroten Plastikrosen, in die man nicht minder hässliche Ringe stecken kann, hat der Mann indes nicht zu verantworten. Wirklich nicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass der heilige Valentin von Terni auch bei Wahnsinn und Pest angerufen wird: Ich lasse das einmal unkommentiert.
Ferner erinnere ich, dass ich als junger Mensch oftmals heilfroh war, dass der Valentinstag in meiner Jugend noch keinerlei Bedeutung in Deutschland hatte, weil diese „Tradition“ erst Ende der Neunziger aus den USA zu uns und in die Blumen- und Juwelierläden schwappte. Denn wie anders wurde es mir bei der Lektüre amerikanischer Jugendromane angesichts dieses jährlichen, amourösen Wettrüstens! Ein wochenlanger Wettbewerb der Schönen und Guten: Wer wieviele Karten bekommen hatte und von wem, und wieviele Einladungen und wem man nicht alles abgesagt hatte, weil man der beliebteste Mensch von der ganzen verdammten Highschool war und sich alle um einen rissen.
Und dann gab es die, die Jahr um Jahr gar nichts bekamen und wahrscheinlich, angesichts der jährlich wiederkehrenden Demütigung, in teenagertypischem Fatalismus, gern mit dem heiligen Valentin von Terni an diesem Tage getauscht hätten.
Ich muss mich nicht intensiv zurückerinnern, um zu wissen, auf welcher Seite ich als amerikanischer Teenie gestanden (oder wohl besser: vor Schmach gekrümmt gelegen) hätte: ein dünner, bleicher Einserschüler mit Pickeln und Brille.
Nein, es war schon sehr gut, dass Valentinstag hier erst ein Ding wurde, als ich mich schon in einer festen Beziehung befand und die postpubertäre Metamorphose zu einem gesellschaftlich als optisch annehmbar klassifizierten Lebewesen durchlaufen hatte.
Und damit kamen dann die Pflichtblumensträße und -Geschenke; das Essengehenmüssen am Abend, weil: Valentinstag. Und irgendwie war das dann wie Weihnachten, wo sich auch alle auf einen Schlag lieb haben müssen: Funktionierte selten, selbst wenn man den_die Menschen an seiner Seite ansonsten durchaus liebte.
Dann kamen die Jahre des tatsächlichen oder gefühlten Alleinseins. Die Jahre, in denen ich nichtmal mich selbst hatte, und deshalb tatsächlich unter dem Fehlen eines „significant other“ litt. Jahre, in denen ich am 14. Februar abends oft gern essen gegangen wäre, bis mir einfiel: Geht nicht, weil: Valentinstag. Das Gleiche galt für Spa- und Hotelaufenthalte.
Auch als zufriedener Single hat man an diesem Datum doch eher die Furcht zu stören oder zu viel unfreiwillige Beachtung zu erfahren, vulgo: Misstrauen und Mitleid im Sinne von: „Irgendwas wird mit dem schon nicht stimmen.“
Überhaupt, diese Frage: „Warum bist du Single?“ ― Erfahrungsgemäß ausschließlich gestellt von Menschen in Beziehungen.
Ach, bitte. Wer kann das denn schon beantworten? Weil ich scheiße aussehe, Menschen hasse, im Bett die letzte Ego-Sau bin und außerdem das Wort Treue gerade einmal buchstabieren kann? Weil ich froh bin, dass ich mir gerade selber nicht auf den Sack gehe? Weil ich nach gefühlten 800 Stunden Arbeit froh bin, auch nur alleine kacken zu können? Weil ich asexuell veranlagt bin oder objektophil? Weil ich keinen nörgelnden Alten auf der Hütte will, der mir mein ausgetüfteltes Interiour-Konzept mit seiner mitgebrachten, hässlichen Stehlampe versaut? Weil Beziehung auch „Schwiegereltern“ bedeutet?
― Ich kann mir niemanden vorstellen, der da wirklich ehrlich ist. Und, wenn, wem nützte es?
Was mich betrifft, so kann ich nur sagen, dass die Männer immer dann in mein Leben traten, wenn ich eigentlich gerade überhaupt niemanden mehr lieben wollte.
Heute ficht mich das alles nicht an. Ich kann Bilder meiner verliebten Freunde sehen und mich von Herzen für sie freuen. Ich kann mir Bilder von dir ansehen, ohne zu leiden. Ich erinnere mich, dass wir uns am Valentinstag nur gegenseitig darin bekräftigten, mit dem ganzen Scheiß nichts am Hut zu haben, um dann genüßlich Dinge zu tun, die wir auch sonst taten. Und so liefe das wohl auch heute, zumal der Valentinstag auch noch auf einen Sonntag fällt: Du würdest den Tatort ansehen und rauchen; ich säße nebenan mit einem Pint Cider und schriebe. Du wärst auch den Rest des Jahres kein Freund großer Sentimentalitäten, und ich wäre auch den Rest des Jahres hoffnungslos romantisch.
Ich verlasse die Wohnung für einen kurzen Spaziergang. In den Restaurants sitzen Paare bei einem der vielen Valentinstagsmenüs für Zwei. Einige von ihnen sehen glücklich aus. Andere nicht.
Also alles wie immer, denke ich, und kraule den herangetrödelten Hund der Nachbarn zwischen den Ohren. Nach einem Klönschnack gehe ich wieder heim.
Dort wartest nicht du. Aber so viel anderes, das ich liebe und für das ich dankbar bin: An jedem Tag.