Zunächst klingt es wie eine starke Windboe, wenn sich tausende kleiner Flügel zugleich in die Luft erheben. Und dann hört man das Zwitschern. Wer nun in der glücklichen Lage ist, den Kopf erhoben tragen zu können und sich im Licht des Tages zu befinden, der sieht dann auch gleich den Ursprung des Spektakels: Eine gewaltige Wolke Stare. Die hoch- und wieder hinabstürzt, sich dreht, auseinanderstiebt und wieder zusammenfindet, um erneut, einer Fontäne am pastellig verfärbten Himmel gleich, nach kollektivem Steilflug auseinanderzuströmen, um sich schließlich auf den Bäumen und Dächern ringsherum niederzulassen. Dort aber sitzen die Krähen. Die sich wiederum im Schwarm erheben, um in die Stare zu stürzen, und schon birst der Himmel wieder in tausend kleine Flügel.
Fünf-, sechsmal wiederholt sich das Schauspiel, dann fällt die Nacht herab, es ist Ruhe im Karton, und der Mensch steht da und schweigt. Wie wunderbar das doch ist!
Und manchmal, denke ich, muss das Leben genauso sein. Gleich der Krähe, die in die Starenformation stürzt, um das feste Gebilde zu zersprengen, braucht es manchmal einen Stich ins Herz, der das Lebensgefüge für kurze Zeit zersplittern lässt, egal wie vollendet es schon scheint: Damit es sich in neuer, noch schönerer Form zusammenfügen kann.
An so einem Punkt, denke ich, bin ich nun. Etwas Großartiges steht bevor. Etwas Schönes und Neues. Die Blüte, die die Pflanze des Schmerzes nun endlich hervorgebracht hat, mit ihrem Duft nach Wald und Rosen. Jemanden, der all das Inselglück vollendet.
Augenhöhe ist für mich in einer Beziehung am Wichtigsten, hätte ich immer gesagt, wenn mich jemand nach nur einem einzigen Wort als Antwort gefragt hätte: Augenhöhe. Nun, zumindest im physischen Sinne muss ich mich davon wohl verabschieden.
Denn nun steht da dieser Mensch, der höher ist als mein Türrahmen, und lacht mich an mit seiner schönen Seele. Und ich möchte all meine Worte in seine feingliedrigen Flötistenhände legen, damit er ihnen neuen Klang verleiht.
Dann ist man da, an diesem Punkt nagender Ungeduld und möchte wissen, wie es weitergeht; ob man das nächste Buch allein schreibt oder zu zweit, ob man weitermacht wie bisher, als leidlich zufriedener Single, oder ob man zulässt, dass das dahinplätschernde Leben künftig wieder mit der Musik eines anderen verwoben wird; Disharmonien riskierend und die Herabstufung zur zweiten Geige. Erträgt man das noch einmal? Ist es das Wert? Aber, ähnlich wie an Gott, habe ich auch nie wirklich aufgehört an die Liebe zu glauben; der Glaube war nur mehr oder weniger verschütt. Vermutlich war er auch einfach nur der Beschimpfungen durch die Vernunft müde geworden.
Und ja, die Vernunft schimpft auch jetzt: Weil. Und dann kommt die Aufzählung von Dingen, Fernbeziehungen im Besonderen und Liebe im Allgemeinen betreffend, und dass man, der doch weder wirklich Nähe noch Distanz aushielte, doch lieber weiterhin die Finger von der Droge namens Liebe lassen solle, man wisse doch: Es macht nur süchtig.
Und dann ist da ja auch nicht nur das Hochgefühl. Denn mit jeder Liebe kommen auch die Sorgen: Ist er gesund, geht es ihm gut, fährt er auch anständig Auto. Und dann ist er vorbei, der sorglose Blick von den Dünen, weil man mit einem Auge immer jetzt bei ihm im Wald ist, zwischen seinen Tälern, Burgen und Weinbergen; inmitten einer Lebensgeschichte, die einem vor wenigen Wochen noch vollkommen fremd war.
Wäre das nur nicht so schrecklich spannend!
Und so denkt man, man kann nur warten. Man muss sich wieder einstellen, auf den Herzschlag eines anderen, auf sein Tempo, auf sein Leben. Man kann aus der Übung kommen mit sowas. Aber kann man es gänzlich verlernen? Ich weiß es nicht. Hält er das aus? Halte ich aus?
„The game is on again, a lover or a friend“, würde es bei ABBA heißen, aber noch hoffe ich, dass es keine Verlierer in dieser Sache geben wird.
Noch geistert, trotz aller Unkenrufe meiner Erfahrung, der wohl politisch strapazierteste Satz des Jahres durch mein Hirn, entsprungen satt inselgenährter Zuversicht: Wir schaffen das.
Und da ist dann wieder dieser zarte Flötenton. Silbrig wie die im letzten Licht des Tages schimmernden Priele oder ein zwischen Weinbergen und Wäldern mäandernder Fluss. Leicht wie der Aufwind, in dem die Möwen über den Dünen treiben.
Hörst du denn nicht am Horizont den Donner, schreit plötzlich die Angst dazwischen, hörst du nicht das Heranbrausen der Winterstürme? Siehst du nicht die Wolkenberge dort hinten, siehst du nicht, wie der Nebel kriecht durch seine Täler und den schönen Wald abweisend macht wie eine Armee übermannsgroßer Zinnsoldaten? Es ist sein Land, und du wirst dich verlaufen darin. Bleib doch um Himmels Willen auf deiner Insel! Hier bist du sicher. Hier findet dich niemand. Keine Liebe. Aber auch kein Schmerz. Ist das nicht schöner so?
Und ich sehe über die grünen Dünen meines geliebten Pirolatals und denke: Ja, es ist wunderschön, so wie es ist. Aber wer gäbe meiner Heimat Form, wenn nicht auch die Winterstürme, wenn nicht auch der Regen? Und so ist es doch auch mit der Heimat unserer Herzen. Kein Leben ist immer nur Glück. Und keine Liebe immer nur schön. Man braucht das Leid, um den Wert der Freude zu erkennen.
Lass es kommen, denke ich: Alles. Ich halte das aus.
Und dann legt man seine Welt in die schönen Flötistenhände und beginnt, zu vertrauen und zu warten.