Hoffnung

„Die Gewalt, der Terror und der Hass werden ein Ende haben“, verspricht der Priester, und er strahlt dabei so vereinnahmend, dass man ihm das nur zu gerne glauben möchte. Das sei Jesu Botschaft: Die Hoffnung auf Frieden. Das Leben in Fülle. Auch und gerade in Zeiten, wo dieser grässliche Krieg unser Europa fest im Griff hat und wir alle dessen Auswirkungen langsam zu spüren bekommen, auch wenn unser Haus nicht in der Ukraine steht. Doch die Hoffnung und Zuversicht auf ein Ende des Elends sei das, was uns durchhalten helfe. Jesu Trost und Versprechen an uns. „Credo!“, möchte ich unverzüglich ausrufen, „credo!“ — Wenn es nicht so schwer fiele. Dabei ist auch der nette Priester keinesfalls weltfremd, vielmehr sitzen die Kriegsgräuel im Wortsinne täglich bei ihm am Tisch, denn er hat Dutzende ukrainische Geflüchtete bei sich im Priesterseminar aufgenommen und wird deren Geschichten mit Sicherheit anhören.
Ich gebe zu, dass ich kaum noch schaffe, mich bezüglich des Krieges auf dem Laufenden zu halten; ich kann mich schlicht nicht überwinden, all diese Artikel über so viel Leid zu lesen, auch wenn ich das als mündiger Bürger müsste. Das meiste bekomme ich nur noch über unermüdlich engagierte Freunde mit, denen an dieser Stelle meine ganze Bewunderung gilt. Ich bin so leider nicht. Ich bin feige.
Und dennoch kann ich nicht weglaufen, denn einflatternde Rechnungen für Strom und Gas in absurder Höhe sowie verschiedene, kriegsinduzierte Lieferschwierigkeiten im Warenverkehr erinnern mich täglich daran, dass der Krieg seine hässlichen Krallen längst auch um Deutschland gelegt hat. Die Freundin ist nicht mit in der Kirche. Sie spült nach Feierabend noch in einem Freizeitheim, der Preissteigerungen wegen. Damit wir zumindest tageweise noch Urlaub machen können oder überhaupt mal irgendeine Form von Lustkauf drin ist. Und dass, obwohl sie einen systemrelevanten Hauptjob hat, der der Gesellschaft aber letztlich doch nur Worthülsen und hohlhändigen Applaus wert ist. Auch meine Einkünfte werden von den Fixkosten fast gänzlich gefressen und es wäre mehr als traurig, wenn der Inseltraum nach so vielen glücklichen Jahren letztlich am Geld scheitern müsste. Ich denke, dass es keinem Ort, keiner Insel und keiner Region guttäte, zu einem Reichenbiotop zu verkommen, wo man die Angestellten nach Feierabend in irgendwelche Vororte, wahlweise aufs Festland, abschiebt, und ich hoffe, dass Langeoog nicht so endet.

Der Himmel über der Insel ist strahlend blau. Schwalben umschwirren die Kirche, als ich ins Freie trete. Nachts höre ich das Meer rauschen und danke Gott, dass dieses ferne Rauschen wirklich das Meer ist und keine Straße, dass ich morgens nicht von Hupen und Autotürenknallen geweckt werde, dass sich keine Besoffenen nächtens anschreien und in die Vorgärten kotzen. Ich bin froh, an einem Ort zu leben, der es einem leicht macht, an ein gutes Ende von allem Elend zu glauben.
Aber macht es nicht vielleicht auch leichtsinnig, an so einem Ort zu leben? Not, Armut, Kriminalität und Gewalt sind zumindest auf den ersten Blick so weit weg, auch wenn es das auf Langeoog, obschon in kleinen Dosen, natürlich ebenfalls gibt, die Inselpolizei wird es bestätigen können.
Und doch ist die Gefahr groß, sich von dieser Schönheit und zumindest oberflächlichen Unschuld verführen zu lassen und zu denken: Solange ich hier bin, bin ich in Sicherheit. Alles Schlechte ist so weit weg, wie könnte es an so einen Ort gelangen? Ebenso verführt das strahlende Lächeln des Priesters dazu, ihm alles zu glauben was er sagt; alles, was er von Jesus erzählt, und davon, dass alles gut wird. Ich will ihm glauben. Jedes seiner Worte über Hoffnung, Frieden, Fülle und Zuversicht. Und doch ist nicht nur der Krieg längst um uns, sondern auch das Artensterben, der Klimawandel sowie ein umsichgreifender Egoismus und Sozialdarwinismus, der einen nicht nur aus den Kommentarspalten im Internet täglich anbrüllt.
Indes: Was bliebe uns vom Leben ohne Hoffnung? Wäre das nicht mindestens so trostlos wie ein Schottergarten ohne Blumen und Schmetterlinge, wie abgemagerte Eisbären auf schmelzendem Eis, wie sterbende Wälder und Monokulturen? Auf einem Bild aus der Ukraine sehe ich ein Paar, das zwischen Trümmern heiratet. Die haben Hoffnung, denke, ich, sonst würde man das nicht machen. Über den zerbombten grauen Häusern sieht man ein Stück Himmel.