Momentaufnahme, Romantik

Die Insel bereitet sich auf den Sturm vor, oder, wenn es nach einschlägigen Boulevard-Magazinen geht, auf den MONSTER-ORKAN, drei Ausrufezeichen inklusive. Wir werden alle sterben, ja. Aber vermutlich nicht daran.

Ich mache den Balkon sturmfest und tue ansonsten das, was Ostfriesen eben so tun: Teetrinken. Nebenher blättere ich im Terminkalender; der Februar ist bereits vorangeschritten, der Tag des Blumenhandels naht, oder, katholischer betrachtet, der des heiligen Valentin.

Nun ist es schöne Tradition, sich anlässlich dieses Datums zumindest noch einmal im Jahr über weltliche Formen der Liebe Gedanken zu machen, allerdings hat sich auch an meiner diesbezüglichen Inkompetenz nichts geändert. Das Herz mit ähnlicher Routine wie den Balkon sturmfest zu machen, gelingt immer noch nicht. Und so ganz aus der Nummer kommt man wohl auch nicht raus.

Grundsätzlich entkommt man im Februar aber diesem Thema nicht: Meine Social Media Kanäle werden geflutet mit Werbung, die mir wahlweise niveauvolle Singlefrauen ab 50 auf Langeoog andrehen will (die Dame auf dem zugehörigen Foto ist mir indes noch nie begegnet), Blumengeschenke vom Wert eines Kleinwagens oder einen Jahresvorrat an veganen Kondomen, die in irgendeiner superhippen Berliner Hinterhof-Manufaktur handgeklöppelt werden und alberne Namen tragen. Das letzte Kondom, das ich beim Ausmisten der Badezimmerschränke entsorgte, hatte sein Verfallsdatum um 3 Jahre überschritten und vegan war’s vermutlich auch nicht. Mehr muss ich zum Thema jawohl nicht sagen.

In Berlin ging ich gerne ins Naturkundemuseum. Wie in allen Naturkundemuseen gab es dort irgendwo einen Trakt, in dem Schmetterlinge in Schaukästen hingen. Aufgespießt und kategorisiert, in aller Farbenpracht und Vielfalt, nichtsdestotrotz mausetot und festgepinnt. Ich sah eher selten dorthin, obwohl ich Schmetterlinge mag, weil direkt daneben die Spinnen hingen, die ich keineswegs mag, aber im Kontext mit „Liebe“ fallen mir die Schmetterlingskästen jetzt wieder ein: Aus Gründen.

Irgendwann, so hofft man ja ständig, ist man zu alt für den Scheiß. Irgendwann, so hofft man, kann man neben dem liebsten, schönsten, schlauesten Mann der Welt sitzen, der dazu auch noch duftet wie ein Korb sonnengetrockneter frischer Wäsche, und die blöden Viecher rühren trotzdem keinen Flügel. Aber leider ist es bis „irgendwann“ wohl noch eine Weile hin.

Sie flattern. Und man wünscht sich die Kaltherzigkeit eines Insektologen, der die Schmetterlinge in kurzem Prozess auf ein Kissen nadelt: Wo man sie maximal noch sieht, aber nicht mehr fühlt. Und wo man sie maximal unter Kontrolle hat.

In Wirklichkeit ist es weniger einfach. Man kann natürlich Hunderte Kilometer weit weg fahren. Man kann sich vornehmen, ihn nicht wiederzusehen, bis der Anfall vorbei ist. Aber auch das funktioniert nicht, denn man sieht ihn ja trotzdem, egal, wo man ist. Man geht raus in die Natur, um sich abzulenken, aber dann sucht man das Blau seiner Augen in den Tiefen der Nordsee und das Blond seiner Haare im Wintergold des Strandhafers; und überhaupt findet man plötzlich, dass alle Dinge seinen Namen tragen sollten: zumindest alle, die schön sind. „Tu es partout“, sang schon Dalida.
Auch das Wissen, dass ebendieser Name im großen, schweren Buch der „1000 Dinge, die absolut nicht gehen“ ziemlich weit vorne eingetragen ist, hilft nur bedingt. Auf facebook wird zweifelsohne viel Mist geschrieben, aber der Beziehungsstatus „es ist kompliziert“ hat durchaus seine Daseinsberechtigung. Ich erinnere mich an eine Frau, mit der ich mal kurz zusammen war (hier hat nicht die katholische Zensur zugeschlagen, es war tatsächlich eine): Sie trug diesen Beziehungsstatus für uns ein, weil sie die Bezeichnung so hübsch fand. Sie meinte, das sei doch die einzig realistische der Auswahlmöglichkeiten. Damals beleidigte mich das natürlich sehr; es war wohl ihr spezieller Humor, aber heute kann ich sie sogar verstehen.

Das Gute am fortgeschrittenen Alter ist indes, dass man auch weiß, dass jeder Schmetterling einmal müde wird und dass so ein Anfall tatsächlich vorbei geht. Auch die Stimme der Vernunft setzt sich letztendlich durch; in meinem Fall noch unterstützt vom Katechismus der katholischen Kirche, der ein Dasein als männerpräferierender Katholik nunmal an gewisse Bedingungen knüpft, die einzuhalten mir mein Glaube Wert ist. Es ist tröstlich, dieser einen Liebe alles andere unterordnen zu können. Und meistens funktioniert es ja auch.

Für den Rest des Jahres überlasse ich die Romantik also lieber wieder den Insel-Sonnenuntergängen, den Lyrikerinnen und Floristen. Über dem Meer, das heute noch von einem strahlend blauen Himmel überspannt wird, gruppieren sich Wolken zur Form eines Schmetterlings. Ich nehme diese himmlische Ironie zur Kenntnis; vielleicht ist sie ja auch ein Fingerzeig Gottes, selbst dieses Thema getrost Ihm zu überlassen. Regen und Sturm kommen noch früh genug.

 

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Momentaufnahme, Festhängen

Die Temperaturen halten sich kontinuierlich um 10°C, aber Urlaubswetter sieht anders aus. Es ist grau und regnet seit Tagen, doch der Winter kommt einfach nicht. Die Zeit scheint festzuhängen; anhand des Wetters zumindest lässt sich keinerlei Jahreszeit festmachen und auch die Vegetation ist nicht zwingend ein sicheres Indiz. Durch die Wärme sprießt zartes Frühlingsgrün an den Bäumen; die Feuchtigkeit lockt dagegen herbstlich anmutende Pilze aus dem weichem Moos in den Dünentälern.
Und doch schreitet die Zeit unerbittlich voran. Der Wandkalender mit Vogelportraits, den mir eine talentierte Freundin jedes Jahr zusammenstellt, zeigt auf dem Januarbild einen Bartkauz, der durch Wintergeäst lugt. Ich schlage das Blatt um; das nächste Bild zeigt Basstölpel beim Nestbau, in den Schnäbeln Teek, kein Plastikmüll, immerhin. Es ist Februar und das Jahr hat bereits eine Menge Unschuld eingebüßt.
Großbritannien hat die Europäische Union verlassen, in Frankfurt zerfleddert sich die katholische Kirche beim Synodalen Weg, Trump wird der Welt vermutlich noch eine zweite Amtszeit lang mit täglichem Morallimbo beweisen, dass man auch ohne Bildung, Anstand und Würde viel erreichen kann. Im Netz toben unverändert Hass, Häme und Hysterie, und von „Hierzulande“ fange ich in Sachen Politik und Alltagswahnsinn besser gar nicht erst an. 
Der gefühlte Stillstand der Zeit beim Blick aus dem Fenster nervt mich; das rastlose Kreiseln der Welt aber auch. Mich ermüdet das eine, das andere verursacht Übelkeit.
Nun kann sich der Pessimist in mir darin verloren fühlen; der Optimist hingegen sieht weitere 11 Monate voller Chancen, Pläne und schöner Dinge; sieht kommende Reisen, Blumen und Sonnentage. Vielleicht ein Wiedersehen mit liebgewonnenen Menschen. Und vielleicht mal wieder eine richtige Jahreszeit. Ich bin bemüht, nur Letzterem Raum zu geben.

Der Brexit zumindest motiviert mich immerhin dazu, das Thema „Reisen“ in der Zukunft wieder etwas größer zu schreiben, auch wenn ich nicht mehr gern unterwegs bin. Man hat ja kaum noch darüber nachgedacht, wie komfortabel die EU das Reisen gestaltet. Keine Grenzkontrollen, kein Geldwechsel. Wenn es irgendwo schön ist, kann man dort sogar arbeiten und bleiben. Freiheit ist ein fragiles Gebilde. Und eigentlich habe ich noch viel zu wenig von Europa gesehen.
Mit meinem Vater werde ich mir in Kürze die Heimat unserer Vorfahren ansehen: mit Siegfried Lenz’ „Suleyken“, Gräfin Dönhoffs Kindheitserinnerungen und einem Bildband über die masurischen Seen träume ich mich bereits jetzt in den ostpreußischen Frühling. Es wird mich über den Winter retten — bzw. über diese gesichtslosen Tage, die dem Monat nach der diesjährige Winter sein sollen.