Am nächsten Morgen, dem Tag der Rückreise nach Kiel, ist es diesig am Horizont. Regen peitscht an das Bullauge. Nichtsdestotroz schiebt sich die Sonne ungerührt als blassorangefarbener Ball über den Horizont; in zwei Hälften zerteilt durch ein violettes Wolkenband. Die Küste ist kaum zu erahnen.
Kurz gehe ich auf das Außendeck, aber als mich eine Böe fast von den Füßen holt, breche ich das Vorhaben ab und reihe mich überpünktlich vor dem Frühstücksrestaurant in die Wartenden ein. Als sich um 7 Uhr die Schiebetüren öffnen, wird gerannt, als ob es nie wieder Essen gäbe. Ein Mann rempelt die Frau vor mir grob an, sie meutert verständlicherweise; er dreht sich nicht einmal um. Ein anderer Mann schneidet mir dreist den Weg ab, als ich auf einen schönen Tisch zusteuere, und wirft seine Jacke in einer Weise über den Stuhl, wie ein Neanderthaler vermutlich das erlegte Mammut vor die Höhle warf: Animalische Wildheit und Triumph im Blick. Ich lasse dem Mitgeschöpf seine Beute und ziehe einen Tisch weiter; denn tatsächlich gibt es in dem riesigen Restaurant auch noch mehr freie Fensterplätze.
Das Servicepersonal ist, die nötige ruhige Autorität verkörpernd, freundlich und von beeindruckender Effizienz wie immer. Am Buffet, denke ich, offenbart der Mensch seine ganze Hässlichkeit. Aber darüber hat ja bereits Reinhard Mey einmal gesungen.
Ich esse bewusst nur magenfreundliche Dinge, denn nach der wirklich besten und professionellsten Massage meines Lebens am Vortag möchte ich den 24-Stunden-Pass für den schiffseigenen SPA noch einmal nutzen. Die große, brünette Physiotherapeutin von gestern tut auch an diesem Morgen Dienst. Sie spricht, wie wohl fast alle Menschen in Skandinavien, hervorragendes Englisch und vermutlich auch Deutsch, aber ich bin froh, selbst einmal wieder Englisch reden zu können und so belassen wir es dabei.
Schlimm genug, denke ich, dass viele meiner Landsleute das erstens gar nicht können und es zweitens (was schlimmer ist) auch noch dem Gegenüber zuschreiben, wenn der oder diejenige das grottige Englisch des deutschen Touristen nicht versteht. Notabene: „Wonn Koffi änt wonn Kakao!“ kommt nicht besser an, wenn man es in der Wiederholung brüllt. Und ein „please“ oder „thank you“ sollte man noch vor „coffee“ im Repertoire haben. Eigentlich.
Jedenfalls verbringe ich, nach einem kurzen Gespräch mit der netten Dame und ihrer ebenso unaufdringlich-freundlichen Kollegin, den Rest des Morgens im Jacuzzi dümpelnd. Vor mir tranieren zwei norwegische Hünen im Fitnessbereich. Ein Steward in dunkelblauer Uniform tritt hinzu und redet leise mit ihnen. Als sie ihm im Gespräch ihre Gesichter zuwenden, schätze ich die beiden auch schon auf Ende Dreißig, vielleicht sogar mein Alter. Möglicherweise gehören sie ebenfalls zur Belegschaft; in einem Bereich, für den man körperliche Fitness braucht, ich tippe auf Security. Für mich indes war das Erklimmen der Leiter zum Whirlpool schon genug des Frühsports, wiewohl ich die Männer natürlich ein bisschen um ihre Figur beneide. Aber: De nihilo nihil, wie schon Lucretius wusste.
Im Anschluss gehe ich in die Sauna; auch diese mit Blick aufs Meer. Sogar ein anderer Mann ist um diese Uhrzeit schon da, die Saunen sind hier geschlechtergetrennt. Aber er sauniert vorbildlich, im Gegensatz zu dem Ferkel, das hier am Vortag — ohne jedes Handtuch und in Badehose — ins Holz schwitzte und in mir leichten Ekel hervorrief: Es war ein Deutscher. Mit dem Thema „Peinliche Landsleute im Ausland“ ließen sich wohl wirklich Bücher füllen.
Die Abreise naht. Schweren Herzens verlasse ich das riesige Schiff, es bleibt noch ein wenig Zeit für den letzten Rundgang durch Kiel. In St. Nikolaus ertönt die Orgel, als ich dort um Segen für die Weiterreise bitte. Der Kantor probt wohltönend seinen Antwortpsalm.
Durch die Norwegenfähre wieselt unterdessen die Putzkolonne. In wenigen Stunden wird sie erneut auslaufen.
Ich komme wieder.
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