Dieser Tage war ich mit der Liebsten in einem großen Drogeriemarkt. Eine Weile schlenderte ich neben ihr her und versuchte mich an der Beratung zu Haargummis, in deren Auswahl sie sich aber nachvollziehbarerweise nicht von mir reinquatschen ließ. Dann trennten sich unsere Einkaufs-Wege und ich begab mich auf die Suche nach dem Regal mit den Männerprodukten, um mich durch Duschgel-Neuheiten zu schnuppern. Ich fand es in Form einer schwarzgrauen Wand, mit frischen Akzenten von Dunkelbraun und Nachtblau, ein Tupfer gewagtes Rot dazwischen, und dachte mir: Wtf?! — Um es neudeutsch auszudrücken.
Nun ist die farbliche Einöde bei Produkten für die Zielgruppe „ganzer Kerl“ ja eigentlich nichts Neues, und mich als Ex-Werber dürfte mich das schon gar nicht mehr schockieren, aber tatsächlich nahm ich es das erste Mal sei Langem wieder komprimiert so wahr, wie es da vor mir stand: In seiner geballten Schmucklosigkeit.
Warum, fragte ich mich, ist es 2022 eigentlich immer noch so, dass der Mann angeblich nichts kauft, was nicht schwarz, dunkelblau, autofelgengrau und eckig oder sonstwie dynamisch geformt ist? Warum labern einen die Etiketten der Pflegeprodukte für Männer immer noch ausschließlich mit Schlagworten wie „Energie“, „Frische-Kick“, „dynamisch“, „markant“, „maskulin“, „herb“ zu, während für Frauen entwickelte Produkte auch sinnlich, zartmachend, duftend, wärmend, einhüllend sein dürfen? Klar, bei den Frauenprodukten nervt dafür ein Überhang an Rosa, Schnörkeln und Niedlichkeiten; Schwarzgraudunkelblau kommt dafür fast gar nicht vor, wenn man von High-End-Kosmetika mal absieht, wo schwarz mit Logo das Corporate Design ist. Im Luxussegment findet man zuweilen auch puristisches japanisches Design ohne genderstereotypen Grobfug, aber nun war ich eben in einem handelsüblichen Drogerie-Discounter und musste mich mit dem dortigen Angebot und seiner fragwürdigen Klischeehaftigkeit auseinandersetzen. Immerhin, eines stellte ich bei näherer Betrachtung fest: Mit „unwiderstehlich“ protzen Produkte für sämtliche Geschlechtsidentitäten — als kaufte man den Kram nicht vorwiegend für sich selbst.
Was meinen persönlichen Geschmack betrifft, so kann man mich sowohl mit eckig-dynamisch-herb jagen wie auch mit rosa-glitzer-süß, und — das muss ich gerechterweise anfügen — es hat sich auf dem Markt in Sachen Unisex-Design und -Duft auch schon eine Menge getan. Denn man kann sich durchaus seiner Geschlechtsidentität als Mann zu 100% sicher sein und trotzdem nicht ausschließlich nach Moschus und Leder riechen wollen, und auch nicht jede biologisch weibliche Person, die sich auch als solche identifiziert, hat das Bedürfnis, eine Duftschleppe aus Vanille, Kokos und Kinderkaugummi hinter sich herzuziehen.
Für Menschen, die genderfluid oder non-binär empfinden, kann ich nicht sprechen, aber letztlich geht es mich ja nun auch nichts an: jedem Tier sein Plaisier. Da steht auch einer Person im rosa Glitzerkostümchen ein Moschus-Odeur zu, und wenn der alphamännliche Bauarbeiter halt mal Lust auf Kokosvanillekaugummi hat: Ja nun, why not? Unfreiwillige Geschlechtsangleichungen aufgrund falscher Kosmetikauswahl sind mir zumindest noch nicht untergekommen.
Ich mache mir aus allen Extremen nichts. Ich bevorzuge harmonische Formen, Naturfarben, -materialien und Düfte, die an sonnenbetupfte Waldseen, frischgemähte Wiesen, Farn, Efeu, wilde Beeren und Wintertage an der See erinnern. Mit Flakons, die nicht zu verspielt sind, die an Seeglas erinnern oder an poliertes Treibholz, im Zweifelsfall auch einfach an nostalgische Apothekenfläschchen, kriegt man mich.
Nun frage ich mich aber dennoch, warum die Zielgruppe „Mann“ zumindest im Allerweltskosmetiksegment noch immer so stereotyp bespielt wird. Klar, es ist kaum eine Generation her, als jedes Interesse am eigenen Aussehen noch als „unmännlich“ galt; als „geckenhaft“, wie es damals so schön hieß. Und jeder Mann, der sich schonmal einen Nagel gefeilt hatte, geriet vermutlich gleich unter Homosexualitätsverdacht. Duschen? Kalt, Kernseife und unter drei Minuten, bitteschön, oder will hier jemand verweichlichen? Der Geruch des Geldes zählte, wenn man beim Weibsvolk was reißen wollte, nicht der der Achseln.
Nun war und ist das natürlich Bullshit, denn ich kann mir nicht einmal eine Neanderthalerfrau vorstellen, die für erotische Aktivitäten einen frisch gebadeten Mann mit halbwegs intaktem Gebiss nicht einem stinkenden Pendant mit fauligen Zähnen vorgezogen hätte. Indes weiß ich aber auch nicht — denn da klafft bei mir aus biografischen Gründen eine Sozialisierungslücke — wie es ist, sich als Junge für Dinge zu begeistern, die als „unmännlich“ gelten und dafür gemobbt und diskriminiert zu werden. Ich kann nur ahnen, dass es schwer ist, Dinge wie Eiskunstlauf, Reden über Gefühle, Augencrèmes, Puppen oder von mir aus sogar die Farbe Rosa toll zu finden, wenn man als männlich gelesen wird und sich auch ebenso identifiziert. Aus meiner Jugend in den 90ern erinnere ich mich, dass sich einige Klassenkameraden keinen Ohrring stechen ließen (obwohl es damals modisch der letzte Schrei war), weil sie nicht mehr wussten, ob der Spruch dazu „links cool, rechts schwul“ oder umgekehrt hieß, so groß war die Angst, vom heteronormativen Männlichkeitsideal abzuweichen. Darüber, wieviel Homophobie in all diesem Blödsinn steckt und wie eng Homophobie und Frauenfeindlichkeit eigentlich verzahnt sind, wurden inzwischen ganze Bücher geschrieben, aber ich will an dieser Stelle nicht zu weit abschweifen. Und ja, auch Mädchen, die lieber Physik als Ponys und Fußball statt Fingernageldesign mögen und weder vom Heiraten noch von der Mutterschaft träumen, haben es bis heute nicht leicht, aber das ist nochmal eine andere Baustelle.
Denn, beim Nachdenken über das dynamisch-herbe und blauschwarzgraue Regal und über all die Dinge, die bis heute als „unmännlich“ besetzt sind, wird mir auf einmal auch wieder klar, wieviel der Hälfte der Menschheit dabei eigentlich entgeht. Warum muss ein Mann, wie ihn sich die Mainstream-Kosmetikwerbung vorstellt, sich immer noch abgrenzen wollen von allem, was weich, zart, wärmend, ist, was ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt oder ganz einfach „schön“ und angenehm ist? Ich lasse mir das nicht nehmen. Gott liebt Vielfalt, und zwar in jedem einzelnen kleinen Detail seiner Schöpfung. Er erschuf uns „männlich und weiblich“, steht in der Bibel, diese genauere Übersetzung ist mittlerweile unumstritten. Dieses „und“ steckt in jedem von uns, da bin ich sicher. Man kann es annehmen, ohne sich dafür zu schämen. Die Gesellschaft ist nicht soweit? Dann muss sie es endlich werden. Zeit dafür ist längst.
(Geschrieben im flauschigen Bademantel beim Flackern einer Duftkerze der Note „Sandelholz-Patchouli“. Immerhin: Der Mantel ist dunkelblau — darauf ein Bier aus der Flasche!)
